2001 Barbara Honigmann

Barbara Honigmann

Barbara Honigmann (* 12. Februar 1949 in Berlin) ist die Tochter deutsch-jüdischer Emigranten, die das Dritte Reich im britischen Exil überlebten und 1947 nach Ost-Berlin kamen, um am Aufbau eines neuen Deutschland mitzuhelfen. Ihr Vater Georg Honigmann entschied sich aufgrund seiner kommunistischen Überzeugung zur Remigration in die sowjetische Besatzungszone. Im englischen Exil hatte er die Mutter Barbara Honigmanns, die aus Wien stammende Lizzy Kohlmann kennen gelernt und geheiratet, welche in erster Ehe mit dem Doppelagenten Kim Philby verheiratet gewesen war. „2001 Barbara Honigmann“ weiterlesen

1999 Tuvia Rübner

Tuvia Rübner wurde  1924 in Bratislava/Preßburg als Kurt Rübner geboren. Er wuchs in einer deutschsprachigen jüdischen Familie auf. Nachdem seine Eltern und seine Schwester nach Polen deportiert worden waren, konnte er 1941 im letzten Augenblick mit einer Gruppe von zehn Jugendlichen nach Palästina auswandern. Seine Angehörigen wurden mutmaßlich 1942 im KZ Auschwitz-Birkenau ermordet. Im Kibbuz Merchawia war er zunächst Schafhirte und arbeitete im Weinberg oder auf dem Feld.

Gleich nach seiner Ankunft in Merchawia begann er Gedichte zu schreiben: zunächst auf Deutsch, ab Mitte der 1950er-Jahre auf Hebräisch, ab den 1990er Jahren auch wieder in deutscher Sprache.

Außerdem war Tuvia Rübner ein wichtiger Übersetzer: Er übertrug  u. a. Werke von Goethe, Kafka und Celan ins Hebräische, und Werke von Samuel Joseph Agnon und Dan Pagis aus dem Hebräischen ins Deutsche. Bis zu seiner Emeritierung 1922 war er Professor für Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Haifa.

Tuvia Rübner starb 2019 im Kibbuz Merchawia.

Aus der Begründung der Jury:

“Seine Gedichte […] setzen häufig bei Alltagsereignissen und Naturerfahrungen in der Landschaft seiner neuen Heimat ein, werden jedoch von Erinnerungen an Tod und Gewalt, an Liebe und Verlust durchkreuzt. Die Sprache dieser Gedichte ist lakonisch und atmend, ohne Eile, wie im Zwiegespräch gesprochen. Ihr Wesentliches verbirgt sich oft gerade in den Aussparungen, im Zögern und Innehalten, in Lektionen der Stille.”

 

1997 Imre Kertész

Imre Kertész wurde am 9. November 1929 in Budapest geboren. Wegen seiner jüdischen Abstammung wurde Kertész 1944 als Fünfzehnjähriger über Auschwitz ins Konzentrationslager Buchenwald und in dessen Außenlager Wille in Tröglitz/Rehmsdorf bei Zeitz verschleppt. Er wurde am 11. April 1945 befreit und kehrte nach Budapest zurück.

Diese einjährige, ihn lebenslang prägende Zeit verarbeitete er zuerst in dem 1973 in Ungarn und 1996 (neu) übersetzten „Roman eines Schicksallosen“ (im ungarischen Original: Sorstalanság). Der Roman wurde 2005 von Lajos Koltai verfilmt.

Imre Kertész starb 2016 als international vielfach preisgekrönter Autor in Budapest.

Aus der Begründung der Jury:

“Imre Kertész erhält den Jeanette-Schocken-Preis für sein Werk insgesamt und für Roman eines Schicksallosen insbesondere. Gerade dieser Roman ist ein philosophisch inspiriertes Buch und in seiner Vollendung als Roman epochal. Es ist ein Überleben mit den Mitteln der Kunst. […] In diesem Roman ist der Zivilisationsbruch Sprache geworden. Zugleich rettet Kertész die Geschichte des 16jährigen, der für die Schicksallosigkeit bestimmt war, aufbewahrt im Gefäß seiner Erzählung.”

Aus der Laudatio von Zsuzsanna Gahse:

„Es ist ein verstörendes Unterfangen, einen Schriftsteller wegen seiner stilistischen Vortrefflichkeit und seines bewundernswerten Konzeptes zu feiern, wenn es dabei um Erinnerungen an das Konzentrationslager geht. Dennoch: Der Roman eines Schicksallosen ist bis in die leise hervorgehobenenen Aufschreie hinein ein Meisterwerk.“

Aus der Dankrede von Imre Kertész:

„Und hört doch endlich auf damit, dass es für Auschwitz keine Erklärung gibt, dass Auschwitz eine Ausgeburt der irrationalen, der mit der Vernunft nicht faßbaren Kräfte sei, denn für das Böse gibt es immer eine vernünftige Erklärung, mag sein, daß der Satan selbst […] irrational ist, seine Geschöpfe aber sind sehr wohl rationale Wesen, alle ihre Taten lassen sich ableiten wie eine mathematische Formel; jedoch […] das wirklich Irrationale und tatsächlich Unerklärbare ist nicht das Böse, im Gegenteil: es ist das Gute.“

 

 

1995 Louis Begley

 

Louis Begley wurde als Ludwig Beglejter an 6. Oktober 1933 in Stryj (Galizien) im damaligen Polen geboren. Sein Vater, ein Arzt, war gezwungen, sich der russischen Armee anzuschließen und verbrachte den Großteil des Krieges in Samarkand. Begley und seine Mutter blieben bis zur Errichtung des Ghettos in Stryj. Mit Hilfe falscher Papiere, die sie als katholische Polen auswiesen, flüchteten sie zuerst nach Lwów, dann nach Warschau. Dort erlebten sie den Untergang des Warschauer Ghettos.

Das Ende des Krieges brachte sie in Krakau wieder mit Begleys Vater zusammen. Die Familie behielt weiterhin den falschen polnischen Namen und wagte es auch nach dem Krieg nicht, sich zu ihrer jüdischen Identität zu bekennen. Bald darauf wanderte die Familie in die USA aus.

1950 erhielt Louis Begley ein Stipendium der Harvard University und studierte dort Jura sowie Englische Literatur. Im Rahmen seines Militärdienstes war er u. a.  18 Monate in Göppingen stationiert. Anschließend entschied sich Begley für eine Berufstätigkeit als Rechtsanwalt.

Sein spätes literarisches Debüt „Lügen in Zeiten des Krieges“ verfasste er während eines Sabbaticals. In dem Roman verarbeitet er autobiografisch seine Erlebnisse als Jude in Polen unter der Naziherrschaft. Auch nach dem Erfolg als Schriftsteller blieb er als Jurist tätig.

Aus der Begründung der Jury:

„Louis Begley hat in seinem Roman ,Lügen in Zeiten des Krieges‘ eigene Kindheitserfahrungen thematisiert. […] Die Kühnheit des Buches besteht darin, dass der Autor die Perspektive des Kindes – auch aus dem Abstand von mehr als fünf Jahrzehnten – scheinbar nicht verlässt. […] Das Buch argumentiert nicht, es überzeugt durch die Kraft der Vergegenwärtigung einer Überlebensstrategie.”

 

1993 Hanna Krall

Hanna Krall, geboren am 20. Mai 1937, ist eine polnische Schriftstellerin und Journalistin.
Ihre journalistische Tätigkeit begann sie 1955 in der Redaktion der Tageszeitung Życie Warszawy in Warschau. 1966 begann sie für das politische Wochenmagazin Polityka zu arbeiten und war von 1966 bis 1969 Auslandskorrespondentin in der Sowjetunion. Neben ihren Reportagen, die auch in Sammelbänden erschienen, veröffentlichte sie zahlreiche Prosarbeiten, die in zahlreiche Sprachen (auch ins Deutsche) übersetzt wurden. „1993 Hanna Krall“ weiterlesen

1991 Irene Dische

Irene Dische wurde 1952 als Tochter eines Biochemikers und einer Biochemikerin, Ärztin und Gerichtspathologin in New York geboren und wuchs dort auch auf. Als Siebzehnjährige begab sie sich als Tramperin auf eine Weltreise, danach arbeitete sie für den Ethnologen Louis Leakey in Ostafrika. Nach ihrer Rückkehr studierte sie an der Harvard University und veröffentlichte erste Reportagen in „The New Yorker“ und in „The Nation“. 1977 zog Irene Dische nach Berlin, wo sie bis heute neben Rhinebeck, New York vorwiegend lebt.

1989 wurde Dische mit der unter dem Titel „Fromme Lügen“ veröffentlichten Sammlung von Erzählungen erstmals einem größeren literarisch interessierten Publikum bekannt. Seitdem fanden die aus dem Englischen übersetzten Geschichten oft zuerst, manchmal sogar ausschließlich in deutscher Sprache ihre Verbreitung.

Aus der Begründung der Jury:

“Die Autorin schreibt aus der Selbstsicherheit eines Weiterlebens der jüdischen Welt heraus, ohne je das Eingedenken an die Opfer des Holocaust preiszugeben. Mit Abstand und Anteilnahme, mit Ironie und Zartheit votiert sie in ihren Geschichten für die Freiheit der Außenseiter und lässt damit in Deutschland umlaufende fahrlässige Klischees über das Verhältnis von Deutschen und Juden hinter sich.”